Gudrun Georges im Gespräch mit Merle Weidemann
Warum bist Du Fotografin?
Ich halte gerne Dinge fest, die ich sehe. Am Liebsten schaue ich genau und beobachte, ohne mich einzumischen. Ich mag Details und fokussiere gerne Dinge, die man schnell übersieht. Außerdem kann man gesehen werden (meine Arbeit) ohne selber gesehen zu werden. Ich bleibe im Hintergrund. Als ich Fotografin wurde, mochte ich es sehr, unsichtbar zu bleiben und meine Arbeit sprechen zu lassen.
Seit ich ein Kind mit Down-Syndrom habe, rücke ich fotografisch immer mehr von der neutralen, beobachtenden Haltung ab. Ich dokumentiere das Leben meines Sohnes und stelle Fragen dazu. Ich möchte zum Nachdenken anregen und Vorurteile abbauen.
Mein Sohn hat mich gelehrt, es auszuhalten, im Mittelpunkt zu stehen. Egal wo wir sind und was wir machen, jeder schaut und hat unweigerlich eine Meinung zu ihm.
Wie bist Du auf die Idee zu diesem Thema gekommen?
Im Mai 2024 wurde ein Stein auf ein Wohnheim der Lebenshilfe in Mönchengladbach geworfen, auf dem stand „Euthanasie ist die Lösung“. Diese Aktion sowie die Wahlergebnisse der AFD in Thüringen, Sachsen und Brandenburg haben mich als Mutter eines Kindes mit Behinderung sehr erschreckt. Viele Eltern machen sich Sorgen, wie das Leben ihrer Kinder sein wird, wenn sie immer weniger willkommen sind. Die AFD positioniert sich klar gegen Inklusion und ist behindertenfeindlich. Luke Mockridges „Witz“ über die Paralympics setzte dem Ganzen für mich dann die Krone auf.
„Das wird man ja noch sagen dürfen“ heißt es gerne über Dinge, die man eigentlich nicht sagt.
Ich habe Eltern von Kindern mit dem Down-Syndrom gefragt, was das Schlimmste war, das ihnen im Bezug auf die Behinderung Ihres Kindes gesagt wurde. In den Fotos greife ich diese Aussagen auf. Manches wurde vielleicht nur aus Interesse oder Neugier gefragt, anderes aus purer Boshaftigkeit gesagt. Es gab auch Aussagen, die so menschenverachtend sind, dass ich sie kaum selber schreiben kann. Diese Aussagen sind teilweise schon Jahre her, aber sie sind uns Eltern im Gedächtnis geblieben. Es fühlt sich an, als hätte jemand einen Stein auf uns geworfen. Ich möchte, dass man den Kindern und Jugendlichen in die Augen schaut und sich selber fragt, ob man das wirklich zu ihnen oder über sie sagen sollte.
Wie hast Du die Menschen gefunden, die Du fotografiert hast?
Das Down-Syndrom ist eine relativ häufige Behinderung. Daher landeten wir nach der Geburt unseres Sohnes in einer gut vernetzten Elterngruppe (UKMDS) unserer Heimatstadt Münster. Viele Familien kennen sich untereinander gut und sind befreundet. Das erleichtert unser Leben ungemein. Ich mache Bilder für die Öffentlichkeitsarbeit dieser Gruppe. Für die Ausstellung habe ich verschiedenen Familien gefragt, ob sie einverstanden sind, dass ihr Kind in diesem Kontext mitmacht und sie die Bilder auch selber aushalten können. Alle angefragt Familien waren begeistert und froh, dass sich jemand diesen unangenehmen Dingen widmet. Tatsächlich kennen alle Familien solche Sätze. Das finde ich erschreckend.
Was ist dein persönliches Fazit aus der Arbeit an der Strecke?
Es ist nicht leicht, Bilder zu produzieren, die nicht nur anklagen sondern zum Nachdenken und Reflektieren der eigenen Haltung anregen. Ich wollte keine Steine auf andere werfen. Nur das Gewicht dieser Aussagen spürbar machen. Außerdem ist das Fotografieren von Kindern mit einer geistigen Behinderung immer total spannend. Man kann es nicht so genau steuern. Da musste ich mich einfach auf das einlassen, was passiert. Ich hatte im Vorfeld Vorstellungen, was den Gesichtsausdruck angeht, aber die Kinder und Jugendlichen haben gemacht, wonach ihnen ist. Sie sind einfach, wer sie sind. Und es macht die Bilder auch berührend.
Was hoffst Du, das die Betrachter aus deinen Bildern mitnehmen?
Ich wünsche mir einen sensibleren Umgang mit Worten. Nicht alles, was man sagen kann, muss man auch sagen. Manchmal sind es auch kleine Worte, die einen Unterschied machen. Vielleicht spüren Besucher der Ausstellung auch diesen Wackerstein, der uns Eltern im Magen liegt, wenn wir an die Worte denken. Wir lieben unsere Kinder. Und jemand anders sagt uns, es solle sie nicht geben. Das trifft uns. Ich weiß nicht, ob das den Menschen, die diese Dinge gesagt haben, so klar ist. Wenn sich der Betrachter am Ende selber fragt, ob das Down-Syndrom wirklich so schlimm ist, dass es die Menschen damit nicht geben sollte, und das nicht mit ja beantworten kann, dann bin ich froh.