Guido Schiefer antwortet Frank Schultze
Wie würdest du deine Fotografie beschreiben?
Meine Fotografie lässt sich am besten als eine Suche nach dem Unscheinbaren beschreiben, dem, was im ersten Moment leicht übersehen wird, aber eine tiefergehende Bedeutung trägt. Ich betrachte mich als stillen Beobachter des Alltags, der lieber festhält, was sich ohne mein Zutun entfaltet, als aktiv einzugreifen und zu inszenieren. Ich versuche, die spontanen, manchmal skurrilen Szenen einzufangen, die uns im Trubel des Lebens begegnen. Diese Momente besitzen eine Authentizität, die nicht erzwungen werden kann, eine leise Erzählung, die unter der Oberfläche brodelt und mehr über Menschen, ihre Eigenheiten und die Dynamik der Situationen preisgibt, als auf den ersten Blick erkennbar ist.
Ich erfreue mich an der Absurdität, die oft im scheinbar Banalen verborgen liegt. Ein leicht verschobener Blickwinkel, ein ungewöhnliches Detail im Hintergrund oder die zufällige Harmonie von Elementen, die im Chaos des Alltags aufeinandertreffen – all das bietet mir die Möglichkeit, Geschichten zu erzählen, die sich dem flüchtigen Blick entziehen. Es geht weniger darum, was unmittelbar sichtbar ist, sondern vielmehr um das, was zwischen den Zeilen steht. Im besten Fall laden meine Arbeiten den Betrachter ein, innezuhalten, tiefer zu blicken und zu fragen: Was liegt hier wirklich vor? Was erzählen diese Menschen und Orte, ohne es direkt zu offenbaren?
Wie bist du zur Fotografie gekommen?
Paris und Fotografie – für mich sind die beiden Begriffe miteinander verknüpft. Für mich war die Stadt der Ort, an dem sich mein Blick auf das Medium Fotografie focussierte. Mit meiner Freundin Andrea und einem winzigen Budget im Gepäck, kam ich direkt nach dem Abitur nach Paris – ausgestattet mit der alten Minolta meines Vaters und fünf Ilford FP4-Filmen.
Bis zu diesem Punkt hatte ich Fotografie eher beiläufig wahrgenommen, doch in Paris begann ein inneres Experimentieren.
Ich erinnere mich noch genau an die Improvisation: Langzeitbelichtungen ohne Stativ, völlig intuitiv, ohne das technische Wissen, das man normalerweise mit der Fotografie benötigt. Es war die Stadt selbst, die mich antrieb, die nächtlichen Straßen, die sich wie ein endloses Labor anfühlten, voller Möglichkeiten, Schatten und Bewegungen. Es war chaotisch und wunderbar zugleich.
Nach unserer Rückkehr lieh uns jemand ein komplettes SW-Labor, und als ich zum ersten Mal zusah, wie das Bild in der Dunkelkammer aus dem Nichts auftauchte, war ich vollkommen fasziniert. Es fühlte sich magisch an, als würde ich an einem kreativen Prozess teilhaben, der sowohl präzise als auch zufällig war. Dieser Moment, in dem das unsichtbare Bild plötzlich sichtbar wurde, war für mich der Funke, der alles entfachte. Von da an war die Fotografie keine beiläufige Beschäftigung mehr – es wurde zu einem Weg, die Welt zu sehen und zu gestalten.
In kurzer Zeit folgten ein Fotokurs, eine kleine Ausstellung und schließlich die erfolgreiche Bewerbung zum Fotostudium an der FH Dortmund. Obwohl ich noch so neu in diesem Feld war, schien alles plötzlich seinen Platz zu finden – als ob die Fotografie mich ebenso gewählt hätte, wie ich sie.