Dirk Krüll trifft David Baltzer
Dirk: Hallo David, ich habe gehört, Du hast früher Häuserkampf fotografiert und bist darüber, durch Zufall, zur Theaterfotografie gekommen. Jetzt habe ich auch mit Häuserkampffotografie angefangen, deswegen interessiert es mich. Hast Du den Häuserkampf von damals als größeres Foto-Projekt angelegt?
David: Nein, dass war spontan und ich war da im besten Sinne Mitläufer, ohne dies als Thema weiter zu durchdringen oder es wirklich dokumentarisch aufzuziehen.
Ich jobbte zu der Zeit für einen Abonnementsservice für Theaterkarten. Die saßen am Kurfürstendamm, da wo 1981 viele Hausbesetzerdemos starteten. Ein Zeit lang spielten die Besetzer*Innen, sozusagen im Vorhof der Vermögenden, täglich Katz und Maus mit der Polizei. Nach Dienstschluss ging ich dann mit meiner Nikon FE auf die Straße um zu fotografieren. Meine damalige Vorgesetzte, sah die Kamera und fragte, ob ich nicht auch die Fotos für das der Firma Kulturprogramm machen wolle? So ging das dann los.
Dirk: Hast du damals die Demofotos veröffentlicht oder nur für dich gemacht?
David: Nur für mich.
Dirk: Okay – dein Einstieg in die Theaterfotografie ist offensichtlich durch einen Zufall entstanden. Du hast dann aber sofort Geld verdienen können, oder?
David: Ja, das war eine merkwürdige Gleichzeitigkeit. Auf der Straße formierte sich gerade eine neue gesellschaftliche Bewegung, die Wohnen von Rendite entkoppeln wollte. Am Theater dagegen war alles noch sehr traditionell.
Die etablierten Foto-Kolleg*innen standen in der Mitte des Saales, hinter drei Stativen - bestückt mit: Tele, halbes Tele und einer Kamera für die Totale. Da hab ich dann, ohne das ich es vor hatte, eine Art Generationswechsel ausgelöst. Weil die Saalmitte schon besetzt war, ging ich vor zur Bühne. „Rechtsaußen und Unterperspektive“. Ich kam ja wortwörtlich von der Straße und hab dann unbewusst Theater so fotografiert, als ob es ein Szenario dort draußen wäre.
Bereits nach der ersten Probe, konnte ich in drei Berliner Tageszeitungen Fotos unterbringen. Das hat mich ermutigt weiter zu machen. Wäre damals nichts erschienen, wäre ich vermutlich am Ende nicht Fotograf geworden.
Dirk: Wie bist Du mit der Situation umgegangen? Du arbeitest dann ja quasi dokumentarisch oder inszenierst du auch?
David: Nee - inszenieren nicht, aber ich interpretiere!
Dirk: Interpretieren in der Theaterfotografie! Wie geht das?
David: Na ja, am Ende glaube ich … - vielleicht ist es dokumentarisch. Vielleicht ist es das nicht. Vielleicht reden wir hier von einem, spezifisch auf das Theater bezogenen, erweiterten Dokumentarbegriff.
Ich versuche die Atmosphäre einzufangen, die inhaltliche Essenz zu verstehen. Und die verdichte ich nach Möglichkeit. Meine Bilder sollen allerdings dem Betrachter auch Spaß machen. Ihn in eine Emotion hineinziehen und im besten Fall, zum Besuch des Theaters animieren.
Dirk: Nach Deiner Motivation gefragt, das Theater der Straße hat nichts mit dem Theater zu tun, dass Du als „Brot und Butterjob“ fotografierst?
David: Nein. Das sind zwei Enden meiner Tätigkeit. Aber es gibt Ähnlichkeiten. Am Ende interessiert mich in beiden Genres der emotionale Gehalt. Die Aufgeladenheit, die Verdichtung von Konflikten, das Dramatische.
Dirk: Man kann also sagen, dass bei allem „Hin und Her“ – auf der Straße und der Bühne, Du zwar weiterhin am Theater dein Geld verdienst, aber ein besonderes Interesse an der Dokumentation von gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen hast?
David: Ja. Die Straße ist ein Raum, der erst einmal frei betretbar ist. Da gibt es keine Zugangsbegrenzungen. Wenn (da), und das ist dann im besten Fall Straßentheater, eine Situation entsteht, wie zum Beispiel: Akteure der Klimaschutzgruppe „Letzte Generation“ so agieren, dass die Polizei eingreift, - ist das in Teilen auch inszeniert. Beziehungsweise eine symbolische, eine Stellvertreterhandlung. Die Adressaten dieser Aktionen, die Politik und die Gesellschaft, treten in dem direkten Moment der Auseinandersetzung, in den Hintergrund. Gelingt es den Aktivist*Innen allerdings sehr viele Menschen über eine lange Zeit auf die Strasse zu bringen, verlässt die Aktion des zivilen Ungehorsams den symbolischen Raum und hat die Chance die Gesellschaft tatsächlich zu verändern. Es ist wie unter einer Lupe, einem Brennglas: Aktivist versus Polizist. Da wird es emotional, es entsteht Druck wie in einem Dampfkessel! Und im besten Fall Fotos, die diesen gesellschaftlichen Aushandlungsprozess eindrucksvoll erzählen können.
Dirk: Da bist Du stringent oder sehr … , wie ist denn das Wort dafür? Du bist (dem/) deinem Thema, also immer treu geblieben?
David: Stoisch, vielleicht? Ich habe mit dem fotografieren von Bürgerprotesten begonnen, mir deswegen die erste gebrauchte Ausrüstung gekauft. Und werde wahrscheinlich, bevor ich meine Kamera endgültig in den Schrank gelegt habe, damit auch enden.